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Frankfurt am Main, 11.04.2006
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Mit Manet und Monet zu Money
Eine Berliner Ausstellung erinnert an den Verleger, Kunsthändler und Mäzen Paul Cassirer
VON HARRY NUTT

Der Verleger als Geschäftsmann und Dandy (Katalog)
Auf einer Kohlezeichnung, mit der Ernst Barlach seine große Güstrower Holzskulptur, den Schwebenden, entwarf, gab er der Figur die Gesichtszüge Paul Cassirers. Das anrührende Dokument einer Männerfreundschaft kam allerdings zu spät. Cassirer war kurz zuvor, im Herbst 1926, an den Folgen einer Schussverletzung gestorben, die er sich selbst beigebracht hatte. Barlach hatte nicht nur einen Freund, sondern auch seinen Förderer verloren. Zwischen 1910 und 1919 hatte Barlach 128 Lithographien geschaffen, die meisten davon für die Pan-Presse, einer bibliophilen Zeitschrift, die im Verlag Cassirers erschien.

Der Verleger hatte den sensiblen, unter Depressionen leidenden Barlach immer wieder zu Text- und Bildserien angestachelt. Die einzigartige Verbindung der Begabung des Dichters und bildenden Künstlers Barlach verdankt sich vor allem dem Ansporn eines Verlegers, dem die Kunst das meiste und der geschäftliche Erfolg eine Nebensache war.

"Ich kaufe Ihnen ein Häuschen in Zehlendorf"

Barlach war kein Einzelfall. Cassirer unterhielt zahlreiche Beziehungen zu Künstlern, die ihr Werk auf dessen generöse Unterstützung gründeten. Der Philosoph Ernst Bloch erinnerte sich später an eine Vertragsverhandlung, die Cassirers geschäftlichen Eigensinn charakterisierte. "Ich kaufe Ihnen ein kleines Häuschen in Zehlendorf und gebe Ihnen monatlich 400 Mark. Aber bitte, verlangen Sie nie eine Abrechnung zu sehen; denn dann regt sich mein kaufmännisches Gewissen. Was ich mache, ist gegen den Geist des Geschäftslebens." Dem Geist der Utopie ist derlei verlegerische Marotte am Ende aber zu Gute gekommen.

Eine kleine, auf zwei Etagen im Max Liebermann-Haus am Pariser Platz in den Räumen der Stiftung Brandenburger Tor stattfindende Ausstellung hat sich nun zur Aufgabe gemacht, an den Kunstmäzen Paul Cassirer zu erinnern, der für die Berliner Moderne sowohl Inspirator als auch Katalysator war. Es genügt ein flüchtiger Blick auf die versammelten Werke, um zu erkennen, dass Cassirer eine der Zentralfiguren des Kunstlebens seiner Zeit war.

Der 1871 geborene Paul Cassirer entstammt einer weit verzweigten jüdischen Kaufmannsfamilie aus Breslau, die zunächst Holzhandel betrieb und später über die geschäftliche Expansion der Kabelwerke Oberspree zu einer der einflussreichsten Berliner Industriellenfamilien wurde. Es war jedoch der so genannten Vetterngeneration, der der Philosoph Ernst und die Kunsthändler Paul und Bruno Cassirer angehörten, vorbehalten, die musisch-intellektuellen Begabungen des Clans zu entwickeln. Die weitgehend vergessene Familiengeschichte der Cassirers ließe sich als exemplarische Aufstiegsgeschichte einer sowohl industriell als auch künstlerisch geprägten preußischen Moderne erzählen, die nach Flucht und Vertreibung in der Nazizeit jäh abbricht. Die Berliner Ausstellung beschränkt sich allein auf die Entfaltung eines beeindruckenden verlegerischen und künstlerischen Netzwerkes, das Paul Cassirer in der Berliner Gründerzeit gepflegt unterhalten hatte. Er war zugleich Kunsthändler, Mäzen, Verleger, und leidenschaftlicher Kunstpolitiker, dessen Wirkung und Einfluss kaum vollständig erschlossen ist. Die Ausstellung zeigt Gemälde von Liebermann, Beckmann, Slevogt, Corinth und anderen, die das Berliner Kunstleben mitunter vom Kaffeehaus aus dirigierten. Für kurze Zeit schien Berlin sich künstlerisch an Paris orientieren zu wollen und es auch zu können.

Bilderhandel als Form der Marktbereinigung

Der Anspielungsreichtum der Gemälde zeigt, wie sehr künstlerischer Ausdruck und private Beziehungen einander durchdrangen. Ein Ölgemälde von Corinth stellt die Schauspielerin Tilla Durieux als leidenschaftliche spanische Tänzerin dar. Paul Cassirer heiratete die Durieux 1910, die zugleich Muse, Femme fatale und sexualisierte Projektionsfläche ihrer männlichen Zeitgenossen war. Die Legende will denn auch, dass Cassirers tragischem Tod ein Liebesdrama mit der Durieux vorausgegangen war.

Dabei waren Paul Cassirer dramatische Zuspitzungen in seinen Beziehungen keineswegs fremd. Ein Gemälde von Leopold von Kalckreuth zeigt ihn als seriösen Geschäftsmann, der seine sinnlichen, exzentrischen Züge kaum zu verbergen vermag. 1898 hatte er zusammen mit seinem als besonnen und zurückhaltend geltenden Vetter Bruno Cassirer in der Victoriastraße 35 die Galerie und Verlagsbuchhandlung B. und P. Cassirer eröffnet, die sie von Henry van der Velde einrichten ließen und die bald zur ersten Adresse des Berliner Kunsthandels wurde.

Paul Cassirer
Der Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer war einer der einflussreichsten Förderer der künstlerischen Berliner Moderne um 1900 und einer ihrer enthusiastischsten Mäzene. Eine Berliner Ausstellung erinnert an die fast vergessene Berliner Legende.

Ein Katalog ist im C.H. Beck Verlag erschienen: "Ein Fest der Künste. Paul Cassirer. Der Kunsthändler als Verleger." Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Mai im Max Liebermann Haus am Pariser Platz zu sehen. www.stiftung.brandenburgertor.de
Die Cassirers zeigten hier die ersten Ausstellungen französischer Impressionisten und der Volksmund reimte: "Mit Manet und Monet zu Money". Paul und Bruno Cassirer wurden gemeinsam Geschäftsführer der Künstlervereinigung Berliner Secession, aber von 1901 an trennten sich die Wege der Vettern. Die Gründe sind bis heute ein Rätsel der Kunstgeschichte, aber es spricht einiges dafür, dass es weniger kunstpolitische Auffassungsunterschiede als familiär-amouröse Komplikationen waren, die die ungleichen Vettern auf Jahre voneinander trennten. Man ging sich aus dem Weg und nur die ganz großen Künstler wie Liebermann und Slevogt konnten es sich leisten, mit beiden geschäftliche Beziehungen zu unterhalten und gar befreundet zu sein.

Die Berliner Ausstellung öffnet ein Fenster, aber sie schließt keine Lücke. Bis heute gibt es keine Monographie über das künstlerisch-verlegerische Kraftwerk Paul Cassirer, dem eine Anekdote nachgesagt, die Gattungsbezeichnung Expressionismus in einer erregten Diskussion überhaupt erst erfunden zu haben. Keineswegs aus uneingeschränkter Begeisterung für die neue Kunstrichtung. Viele Werke der expressionistischen Bewegung habe Cassirer wohl nur deshalb gekauft, um sie, auch eine Form von Kunstpolitik, vom Markt verschwinden zu lassen.


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Dokument erstellt am 05.04.2006 um 16:24:09 Uhr
Erscheinungsdatum 06.04.2006

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